Ausgangspunkt des heutigen Artikels ist die gestrige Vorlesung Public Health 527, Health Care Planning. Thema waren die Unversicherten in der USA und das die meisten davon unter der Armutsgrenze leben.
Die Armutsgrenze in den USA ist bei knapp 10,000$. Das sind 8.000 Euro. Bei uns liegt die Mindestsicherung um die 9.300 Euro. Und gut die Hälfte bis sogar ein Drittel aller Amerikaner im Alter von 24-45 Jahren leben mindestens 1x in seinem Leben unter diesem Federal Poverty Level. Und nahezu 90% dieser Leute hat KEINE Versicherung! Im breiten Mittelstand triffts dann meist noch immer 30-50% der Leute die nicht versichert sind. Und in der oberen Bevölkerungsschicht liegt die Zahl der nicht versicherten im 0,xx% Bereich!
Versichert ist nicht gleich versichert, in der USA!?
Dazu vielleicht kurz vorher noch die wichtigsten Fakten über das USA Gesundheitssystem (oder was ich bis jetzt aus der gestrigen Vorlesung und meiner Gruppendiskussion heute glaube zu wissen):
- es gibt in den USA KEINE Pflichtversicherung, auch die Arbeitgeber hier werden nicht gesetzlich dazu verpflichtet die Arbeitnehmer zu versichern (im Gegenteil zu Österreich!). In den USA springt auch bei Arbeitslosen etc. nicht der Staat ein (grundsätzlich nicht), dafür muss man schon Obdachlos sein und noch einige Auflagen mehr erfüllen (ich glaub über 65 sein) damit Medicare oder Medicaid einspringen (das sind die annähernd staatlichen Versicherungen)
- wenn ein Amerikaner eine “gescheide” Firma hat, die ihn auch versichert, ist das anscheinend so, dass die Firma einen Beitrag zur Versicherung zahlt und den Rest zahlt man selbst (zB 70%/30% oder 50%/50%. Oder die Firma zahlt die Versicherung zu 100%. Dafür verdient derjenige dann aber weniger als jemand der Ami, der nicht von seiner Firma versichert wird.
Für diesen Mehrverdienst (laut meiner Auffassung bis jetzt sind das zw. 200 und 300 $) kann sich der nicht versicherte Ami dann selbst versichern, er muss aber nicht! Deswegen sind auch viele Vollzeitbeschäftigte, die eigentlich einen guten Job haben und sozial nicht schlecht gestellt sind, nicht versichert – weil sie zu geizig sind sich um diesen Mehrverdienst auch wirklich eine Versicherung zu nehmen!
Ich nehme aber nicht an, dass die Versicherung die man um diese oben genannten 200$ auch die gleichen Dinge abdeckt wie meine Firmenversicherung. Ich nehme an, dass die Firmenversicherungen besser sind, weil a) dort viele Personen die gleiche Versicherung haben (und dadurch die Einzelverträge günstiger werden) und b) die Firma vlt. noch dazuzahlt. Auf jeden Fall sind sie mit den eigenen gleichwertig, weil sonst würde sich ja niemand hier über eine Firma versichern lassen.
Im Gegenteil, die Leute schauen wo sie nur können, um einen Job in einer Firma zu bekommen, die einen mitversichert. Also wird die Versicherung dann schon auch besser sein!
Grund meiner Annahme ist auch, dass wir gestern in unserer Klasse besprochen haben, dass kleinere Firmen oft nicht die finanzielle Möglichkeit haben ihre Mitarbeiter zu versichern. Mir konnte gestern leider niemand sagen um welche Summen es sich da handelt (die die Firmen für die Versicherung dazuzahlen) und wieso es für kleinere Firmen dann nicht möglich ist die Mitarbeiter zu versichern – klingt also nach ganz schön viel Geld das die Firmen noch für ihre Mitarbeiter beim Versichern draufzahlen… - Firmen versichern wenn dann nur Vollzeitbeschäftigte
eine meiner Studienkolleginnen hat zwei Teilzeitjobs und wird daher von ihrem Mann “dazuversichert”, er arbeitet Vollzeit
und in den USA gibt es meist nur Teilzeitbeschäftigte, die aber ein, zwei, drei oder mehr Jobs brauchen um auf ein halbwegs gutes Gehalt zu kommen –> aber dafür haben die dann auch keine Versicherung - der Staat versichert niemanden
wenn man seinen Job verliert oder wechselt und zB 4 Wochen arbeitslos ist muss man sich für diese 4 Wochen selbst versichern, sonst hat man dafür einfach keine Versicherung
dazu hat uns ein Prof in der Orientierungswoche geschrieben, dass sein Bruder sich die Prämie für genau 4 Wochen sparen wollte und sich beim Jobwechsel nicht versichert hat. Der Teufel schläft nicht und genau in diesen 4 Wochen hatte er einen Autounfall – er war unschuldig – aber weil der andere sowieso keine Autoversicherung hatte muss er für sich selbst aufkommen. Er hat jetzt selbst keine Krankenversicherung und zahlt heute noch die Raten in der Höhe von 80$ monatlich (und das ist bestimmt schon 5 Jahre her wenn ich das richtig im Kopf habe)… Und es war nichts schlimmes, kein Krankenhausaufenthalt, keine Intensivstation ich glaube nur eine ambulante Operation… - Medizinische Versorgung ist hier NICHT gratis!
Wie ihr schon aus meinem vorigen Punkt lesen könnt kostet eine Behandlung, wenn man unversichert ist, ganz schön viel Geld.
Mandie, meine Studienkollegin, wird für 150$ monatlich von ihrem Mann mitversichert. Dafür zahlt sie pro Arztbesuch bei einem ihrer Vertragsärzte (d.h. sie hat auch keine freie Arztwahl) 20$. Der Selbstbehalt hier kann generell zwischen 10 und 75$ sein – kommt drauf an welche Versicherung man hat und wie viel Geld man monatlich einzahlt.
Folgedessen nehmen viele junge Arbeitnehmer keine Versicherung oder versichern sich dann um womöglich 20$ monatlich (d.h. dann würde der Selbstbehalt bestimmt auf 75$ hochgehen) weil sie ja wissen sie brauchen keinen Doktor und sind nicht krank. Leider muss man diese Entscheidung im Vorhinein fällen.
Genauso ist es mit den Medikamenten, Personen mit 20$ Selbstbehalt bekommen die Medikamente günstiger als die mit 75$. Das zieht sich durch wie ein roter Faden – höhere Versicherungsbeiträge = niedrigerer Selbstbehalt = mehr Ärzte (Anzahl der Ärzte zu denen man gehen kann) und in näherer Umgebung = mehr Medikamente die dieser Arzt verschreiben kann (also eine größere Bandbreite an Medikamenten) = niedrigerer Medikamentenpreis usw… das ist wie eine endlose Spirale - die Einstellung zu Medikamenten
die Amerikaner haben eine andere Einstellung zu Medikamenten als wir Europäer – das hat mir Mandie erklärt!
ein Amerikaner geht zum Arzt, weil er ein Medikament haben möchte, nicht weil er eines braucht; und dieses Medikament muss dann alle Probleme heilen, sozusagen die Wunderpille schlechthin sein UND natürlich ohne seine Gewohnheiten, sein Essen, sein Lebensstil etc. umzustellen
als kleines Beispiel hierzu: gestern in der Vorlesung wurden wir gefragt was wir machen, wenn wir einen Herzinfarkt haben und wissen, wir brauchen einen Herzkatheter. Meine Antwort wäre: 144 anrufenDie Antwort eines Mitstudenten war 911 anrufen… Und einer der wenigen Ärzte im Raum (die Masterfächer hier werden von vielen verschiedenen Personengruppen besucht) begann zu lachen. Er teilte uns dann mit, dass es deine Pflicht als Amerikaner ist zuerst ein “Aspirin” zu nehmen. Jeder am anderen Ende des Telefons wenn du 911 anrufst wird dich fragen ob du schon ein Aspirin genommen hast.
Ich habe heute Mandie dazu gefragt und sie sagt, dass in jedem Gesundheitsratgeber und überall sonst steht, dass man bei leichten Herzbeschwerden oder hohem Blutdruck oder anderen ähnlichen Beschwerden vorbeugend täglich ein “Baby”Apsirin zu nehmen hat. Ich hab diese Babys noch nicht gesehen, aber vlt. sind das die, die wir zu Hause nehmen wenn wir wirklich mal krank sind. Ich hab keine Idee, aber das war ebenfalls ein Schock für mich. - der Lebensstil
Was für mich hier noch wirklich erschwerend dazukommt ist der amerikanische Lebensstil und die Krankengeschichte in der Familie. Viele, nahezu alle, denken hier gar nicht an sowas. Die leben wirklich nur von heute auf morgen, haben 50 kg zu viel aber jetzt geht es ihnen gut. Nehmen daher die günstigste Versicherung mit den höchsten Arztgebühren. Wenn die aber so weiteressen und keinen Sport machen etc. dann geht es ihnen in 2-3 Jahren nicht mehr so gut und genau diese Leute (die jetzigen 30-40 jährigen) haben die größten Probleme hier im Gesundheitssystem, weil sie sich zu wenig versichert haben und man mit ihrem Lebensstil aber schon gesehen hat, dass das nicht gut geht.
Der Mann einer anderen Studienkollegin hat Diabetes, seit einem Jahr. Heuer wurde er 33 und natürlich hat er viel zu viel Übergewicht. Der Arzt hat ihn nachdem Diabetes diagnostiziert wurde gefragt ob er bereit ist seinen Lebensstil zu ändern und aktiv etwas gegen die Krankheit zu tun. Er verneinte und hat darauf hin Insulin (Spritzen!) und Tabletten verordnet bekommen. Die volle Dosis also. Meine Studienkollegin schimpft zwar und meint sie hat ihrem Mann jetzt schon zig Mal gesagt, wenn er so weitermacht lebt er nicht mehr lange aber das kümmert den nicht wirklich. Seine Meinung ist, dass die Insulinspritzen und auch die Tabletten das alles im Körper regeln. Ich saß mit offenem Mund da und wusste nicht mehr was ich sagen soll. - ausgenommen hier sind:
Kinder, alte Leute (über 65) wenn sie zuvor gearbeitet haben sich sozusagen das Geld für ihre spätere Krankenversicherung erarbeitet haben, Beeinträchtige Personen… ja ich glaub das wars aber schon.
Das gesamte System in der USA steht und fällt also mit den richtig großen Industriekonzernen, die ihren Mitarbeitern eine Versicherung bieten können/dürfen/ müssen – ich weiß nicht genau, das hab ich noch nicht rausfinden können. Man braucht aber nicht Adam Rieße sein um zu wissen, dass, nachdem der Trend ja auch schon in Europa Fuß gefasst hat, die Firmen zunehmend von einer Vollbeschäftigung weggehen und lieber zwei Halbtageskräfte einstellen. Klar, dann fällt auch die Versicherung für diese und die Arbeitgeber können trotzdem das niedrige Lohnlevel halten. All diese Sachen geben einem Europäer hier schon etwas zu denken. Vor allem wenn man gewohnt ist sich keine Sorgen über Versicherung und schon gar nicht ums krank sein machen zu müssen. Aber für die Amis gehört das zum Leben wie das Amen im Gebet. Oder hat jemand von euch schon im ersten Vorstellungsgespräch noch vor der Frage nach Gehalt, Sonderzahlungen oder anderen Nettigkeiten dem Gegenüber die Frage nach der Versicherung gestellt??
Ein kleiner Trend der Nachdenkenden ist trotzdem schon zu sehen. Man sieht hie und da doch Amerikaner, meist Frauen, die sich einen Salat bestellen oder ab und zu Restaurants die wirklich gutes Essen zu einem vernünftigen Preis anbieten. Im Gegenzug dazu hat Walmart (der große Rieße, “Metro”) Generika neu im Sortiment. Die holt man sich dort ohne Rezept, ohne ärztliche Untersuchung und bestimmt auch ohne Wissen über das Medikament selbst. Irgendwie ist das für mich wie eine endlos sich drehende Spirale mit einem nicht abzusehenden Ende! Die Armut steigt weiter und auch der Gesundheitszustand der Bevölkerung scheint sich nicht zu bessern. Zumindest hier im Süden nicht und einen großen Teil dieser Schicht sind die Afro-Amerikaner die man hier öfter findet als im Norden. Auch das war gestern ein großer Punkt in unserer Diskussion, dass es bereits wissenschaftliche Arbeiten gibt, die den Titel “Die Armut trägt schwarz” oder “Schwarz geboren, gebrandmarkt fürs Leben” tragen.
Ich freue mich schon wieder rießig auf die nächste Public Health Klasse am Dienstag! Diese Woche haben alle, die eine Wasserflasche vor sich am Tisch stehen hatten ein Plus bekommen, weil wir aktiv etwas für unsere Gesundheit tun und gegen den Trend gehen… Ich brauch euch jetzt eh nicht zu erklären, dass die Lehrerin das bestimmt nur gemacht hat weil’s nur 3 Leute aus 35 in der Klasse betroffen hat hihi. Wir gehn jetzt essen, Mahlzeit!